Dr. Ortwin Aschenborn ist der Tierarzt im GAIA-Konsortium und kann auf eine langjährige Erfahrung im Management der Löwenrudel im Etosha-Nationalpark in Namibia zurückblicken. In seiner Zeit als leitender Tierarzt des Parks wurde 2010 die erste großflächige Zählung der Löwen durchgeführt. Mittlerweile erforscht er in GAIA die großen Zusammenhänge zwischen Raubtieren, Aasfressern und Beutetieren in der Savanne und entwickelt Systeme, mit denen aus Daten über Raubtiere und Aasfresser Informationen über den Zustand der Ökosysteme werden. Gemeinsam mit dem Zoo Berlin führt er derzeit ein Forschungsprojekt zur Löwenpopulation im Etosha-Nationalpark durch. Eine zentrale Rolle dabei spielen moderne Tiersender und Künstliche Intelligenz, die eine Schnittstelle zwischen den Tieren und der Wissenschaft bildet und das Wissen von Löwen, Hyänen oder Geiern für die Menschen nutzbar macht. Doch zurück zu den Löwen – wie viele es davon in Etosha gibt und warum man sie am besten nachts und mit Lautsprechern und Wärmebildkameras sucht und zählt, berichtet Aschenborn in vier Fragen und Antworten:
Wie funktioniert ein call-up survey von Raubtieren?
Das Vorgehen ist eigentlich recht einfach. Wir machen uns zunutze, dass alle Raubtiere vor allem nachts auf Nahrungssuche sind und dabei besonders auf ihr Gehör vertrauen, um Beute zu finden. Auf einen Geländewagen werden Lautsprecher montiert, über die wir Rufe eines verletzten oder verängstigten Gnus oder eines anderen Beutetieres abspielen. Das machen wir jeweils circa eine Stunde lang, in verschiedene Richtungen. Alle Tüpfelhyänen, Schakale, Löwen oder Leoparden im Umkreis von ungefähr drei Kilometern kommen mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Quelle der Laute und wir können sie mit den Wärmebildkameras sehen, identifizieren und zählen. Über einen Zeitraum von gut einer Woche und mit mehreren Teams kann man eine große Fläche abdecken. Im Greater Etosha Carnivore Program waren neben dem Leibniz-IZW beispielsweise auch die Universität Ljubljana, das Ongava Research Centre und Parkangestellte sowie das Etosha Ecological Institute an der jüngsten Zählung im Park beteiligt.
Wie schlägt sich die Methode im Vergleich mit anderen Zählmethoden?
Gegenüber anderen Methoden wie dem Besendern von Tieren oder systematischen Erfassungen mit Wildtierkameras, wie sie das Leibniz-IZW beispielsweise an Markierungsbäumen von Geparden in ganz Namibia regelmäßig durchführt, ist ein call-up survey etwas weniger genau. Manche Individuen lassen sich gerade nicht blicken, etwa weil sie zufällig gerade echte Beute gemacht haben oder sich in Gegenwart eines Löwen eher Abstand halten. Weibliche Tiere mit Nachwuchs halten sich auch etwas stärker zurück und bleiben auf Abstand. Und andere sind sehr mobil und lassen sich in mehreren Nächten vielleicht an unterschiedlichen Orten blicken. Doch das call-up ist eine sehr einfache, günstige und daher in großer Fläche durchführbare Methode, mit der wir eine Hausnummer der Raubtierbestände erhalten, die wir recht gut interpretieren und mit vergangenen surveys vergleichen können. In Etosha haben wir eine Löwenzählung auf diese Weise 2010 und 2016 durchgeführt und sehen nun langfristige Bestandstrends, was sehr wertvoll ist.
GAIA stattet auch Löwen in Etosha mit Sendehalsbändern aus und entwickelt eine Künstliche Intelligenz, die Verhaltensmuster automatisch erkennen kann. Wie passt das mit dem call-up survey zusammen?
Es gibt unterschiedliche Ansätze, eine Wildtierpopulation zu monitoren und zu erforschen. Eine call-up survey ist günstig und großflächig einsetzbar; Besenderungen von einzelnen Tieren in Rudeln und Analyse der Bewegungsdaten hingegen geben sehr genaue Einblicke über kleinräumiges Verhalten du die Bestandsdichte der Tiere. Wir haben viele Rudel im Etosha-Park am Sender und kennen diese Rudel daher sehr genau. Ich sehe das als perfekte Ergänzung zu der call-up survey an, da wir auf diese Weise für einige kleine Gebiete nachprüfen können, wie akkurat die großflächig eingesetzte Methode ist.
Grundsätzlich ist aber mit Sendehalsbändern und KI noch erheblich mehr möglich als Bestandsdichteerhebungen und daran sind wir wissenschaftlich sehr interessiert. In Zusammenarbeit mit dem Zoo Berlin entwickeln wir daher KI-Algorithmen, die bestimmte Verhaltensweisen von Löwen aus den Bewegungsdaten der Sender ableiten können. Eventuell wird es sogar möglich sein, das Brüllen in den Daten zu sehen, weil dies feine Signaturen in den Bewegungen der Halsbänder hinterlässt. Auf diese Weise lassen sich dann innerartliche Kommunikation und Verhalten von Löwen auf aufregende neue Weise erforschen, was unser Wissen um diese ökologisch und kulturell unschätzbar wertvollen Raubtiere erweitern kann.
Wie geht es denn den Löwen im Etosha-Nationalpark? Können wir guter Dinge sein?
Die Ergebnisse der aktuellen survey haben wir noch nicht, das befindet sich noch in Auswertung. Aber über die Jahre kann man schon gewisse Trends erkennen, denn wir haben call-up surveys bereits 2010 und 2016 durchgeführt: Im Park nimmt die Zahl der Löwen offenbar leicht ab und die der Hyänen zu. Derzeit schätzt man, dass zwischen 400 und 600 Löwen im Park leben. Damit geht es ihnen lokal verhältnismäßig gut, aber global gesehen muss man schon auch mit Sorge auf den Löwen schauen. In 90% seines natürlichen Verbreitungsgebietes ist er ausgerottet und die Gesamtzahl von gut 20.000 Löwen weltweit ist auch immer noch abnehmend. Die IUCN listet die Art als „gefährdet“ und vor allem das hohe Konfliktpotenzial mit Menschen hat ihn aus bewohnten oder genutzten Gebieten konsequent verdrängt. In großen Schutzgebieten kann er recht gut überleben, aber guter Dinge wäre mir eine zu positive Formulierung. Wir sollten wachsam sein, die Bestände kontinuierlich im Blick haben, ein breites Spektrum an Methoden zur Erforschung der Löwen nutzen und vor allem an Rezepten für Konfliktminderung und Koexistenz arbeiten!