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Schutzgebiete in Afrika sind zu klein, um die sich schnell verringernden Geier-Bestände zu sichern
Geier erfüllen wichtige Ökosystemfunktionen, da sie die Landschaft von Kadavern befreien und so beispielsweise die Ausbreitung von Wildtierkrankheiten begrenzen. Die Bestände der Geier gehen jedoch stark zurück – vor allem aufgrund von (absichtlichen und unabsichtlichen) Vergiftungen. Eine umfassende Analyse von Bewegungsdaten von drei bedrohten Geierarten in Afrika zeigt, dass individuelle Streifgebiete bis zu 75.000 km² groß sind und deutlich über bestehende Schutzgebiete hinausgehen. Der Aufsatz ist in der Zeitschrift „Biological Conservation“ erschienen. Um die Bestände zu stabilisieren, müssten größere „Vulture Safe Zones" eingerichtet werden. Ein neues Projekt am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) zielt darauf ab, die wissenschaftlichen Grundlagen für den Geierschutz durch neu entwickelte Sender mit Künstlicher Intelligenz (KI) und Internet of Things-Kommunikation (IoT) in Satellitennetzwerken weiter zu verbessern.
ÜBERSICHT

Die Studie stellt die erste vergleichende Analyse der Bewegungsökologie von drei Geierarten in Afrika vor: dem Weißrückengeier (Gyps africanus), dem Sperbergeier (Gyps rueppelli) – beide sind von der IUCN als stark gefährdet eingestuft – und dem Kapgeier (Gyps coprotheres), der als gefährdet klassifiziert ist. In zwei Regionen im östlichen und südlichen Afrika analysierten die Wissenschaftler:innen einen großen Satz Telemetriedaten von Geiern, die in 18 Ländern über einen Zeitraum von 15 Jahren (2004 bis 2019) gefangen und besendert wurden. Diese Bewegungsdaten setzen sie in Bezug zu Kenndaten wie Art, Alter, Brutstatus, Jahreszeit und Region. Sie bewerteten die Übereinstimmung zwischen den ermittelten Streifgebieten und den bestehenden Schutzgebieten, die von Nationalparks über Wildschutzgebiete bis hin zu kommunalen Schutzgebieten reichten.

„Unsere Analyse zeigt, dass afrikanische Geier der Gattung Gyps einige der größten Streifgebiete aller terrestrischen, nicht wandernden Arten weltweit haben. Das wird durch ihren energetisch effizienten Segelflug ermöglicht und ist für die Nutzung einer verstreuten und vergänglichen Nahrungsquelle erforderlich: Aas“, sagt Autorin Corinne J. Kendall (North Carolina State University und North Carolina Zoo). Ausgewachsene Weißrückengeier haben beispielsweise ein durchschnittliches Streifgebiet von etwa 24.000 km² in Ostafrika und 31.500 km² im südlichen Afrika. Kapgeier und Sperbergeier überfliegen mit durchschnittlich 36.000 km² und 75.000 km² noch größere Gebiete. „Wir sehen in unseren Daten auch, dass Jungvögel noch deutlich größere Gebiete abdecken als erwachsene Vögel“, fügt Ortwin Aschenborn (Universität Namibia und Leibniz-IZW) hinzu. „So haben beispielsweise junge Weißrückengeier im südlichen Afrika ein durchschnittliches Streifgebiet von knapp 100.000 km², wobei ein Geier in unserem Datensatz sogar über einer Fläche von nahezu 300.000 km² aktiv war.“ Ausgewachsene Vögel können besser um die knappen Nahrungsressourcen konkurrieren und benötigen kleinere Gebiete. Außerdem sind brütende Vögel an einen viel kleineren Aktionsradius gebunden. Das Forschungsteam identifizierte ebenfalls Zusammenhänge zwischen der Größe des Streifgebiets und den Jahreszeiten. So decken beispielsweise Sperbergeier in den Monaten der Regenzeit in Ostafrika, in denen das Nahrungsangebot geringer ist, größere Gebiete ab.

In Anbetracht dieses räumlichen Verhaltens ist es unvermeidlich, dass Geier einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit über nicht geschützten Gebieten kreisen. Die Analysen ergaben, dass sich die Streifgebiete der Kapgeier im Jahresdurchschnitt am wenigsten mit Schutzgebieten überschneiden: 34 % bei den erwachsenen Vögeln und nur 16 % bei den Jungvögeln. Dies führt dazu, dass sie in erheblichem Maße Nahrungsquellen mit direktem Bezug zum Menschen ausgesetzt sind, etwa aus Viehzuchtbetrieben und Fleischverarbeitungsbetrieben. Es erhöht auch die Exposition gegenüber Umweltgiften wie landwirtschaftlichen Pestiziden und Giftködern zur Raubtierbekämpfung. Letzteres ist eine Praxis, die im südlichen und östlichen Afrika immer noch weit verbreitet ist. „Diese Ergebnisse zeigen, dass Schutzgebiete zwar ein gängiges und erfolgreiches Instrument zum Schutz verschiedener Komponenten der biologischen Vielfalt sind, ihr Nutzen für Arten mit großen individuellen Streifgebieten oder migrierende Arten jedoch begrenzt ist“, schlussfolgern Aschenborn und der Erstautor Adam Kane (University College Dublin). „Schutzgebiete minimieren in der Regel den Landnutzungswandel, die Lebensraumdegradation und den Einsatz von Umweltgiften wie Pestiziden oder Giften, die zum Beispiel auf Konfliktarten abzielen. Doch für manche Vögel sind die Grenzen dieser Gebiete nicht ausreichend und evidenzbasierte Schutzmaßnahmen müssen auch Herausforderungen außerhalb dieser Gebiete adressieren.“

Die Bestände der Geier schrumpfen so stark wie kaum eine andere Vogelgruppe und sind sogar an der Spitze der schrumpfenden Bestände aller Wirbeltiere. Die Populationen der drei Arten, die in diese Analyse einbezogen wurden, gingen innerhalb von drei Generationen um mehr als 90 % zurück. Der Erhaltungszustand des Weißrückengeiers wurde in der Roten Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN) im Jahr 2007 von „least concern“ (nicht gefährdet) auf „near threatened“ (potentiell gefährdet) verändert. Nur fünf Jahre später wurde die Art als stark gefährdet eingestuft und im Oktober 2015 wurde ihr Status erneut auf „vom Aussterben bedroht“ geändert, da der anhaltende Rückgang schneller und gravierender ist als vorher vermutet wurde.

In Südostasien wurden in ungeschützten Gebieten „Vulture Safe Zones“ (VSZ) eingerichtet, um den Zustrom von Umweltschadstoffen wie Medikamenten zu verringern. VSZ haben sich als wirksame Strategie zum Schutz der Geier erwiesen, da beispielsweise das Einbringen des entzündungshemmenden und schmerzstillenden Arzneimittels Diclofenac in die Umwelt in weiten Gebieten verboten ist und diese Art der Vergiftung der Geier unbeabsichtigt ist. Geier sind wie andere Raubvögel langlebige Spezies, die an der Spitze der Nahrungskette stehen. Dies bedeutet, dass sie anfällig für die Anreicherung von Giftstoffen in ihrem Körper durch ihre Nahrung sind. „Damit VSZ in Afrika erfolgreich sein kann, müssen große Gebiete nahezu giftfrei sein“, sagt Aschenborn. „Diese Gebiete müssen viel größer sein als zum Beispiel der Etosha-Nationalpark. Wenn wir uns das durchschnittliche Streifgebiet eines nicht ausgewachsenen Sperbergeiers von etwa 175.000 km² vor Augen führen, wird deutlich, welche Herausforderungen mit diesem Konzept verbunden sind.“ In Zeiten mit geringer Nahrungsverfügbarkeit, zum Beispiel in der Regenzeit, könnten Geierrestaurants mit Zufütterung ein zusätzliches Instrument für Schutzgebiete sein, um das Risiko von Vergiftungen zu verringern.

„Unsere Ergebnisse zeigen, wie wichtig die internationale Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern für den Schutz weit verbreiteter Arten wie der Geier ist“, sagt Adam Kane. „Diese zu organisieren ist eine Herausforderung, kann aber ertragreiche und nutzenbringende Forschungs- und Schutzprojekte fördern, indem sie Menschen für ein gemeinsames Ziel zusammenbringt.“

Seit Anfang 2022 ist Ortwin Aschenborn Teil eines neuen, ehrgeizigen Forschungsprojektes am Leibniz-IZW, welches die wissenschaftlichen Grundlagen für den Schutz von Geiern und ihrer Lebensräume weiter voranbringen soll. Im Rahmen des Projekts wird in den beiden Vorhaben „GAIA-Sat-IoT“ und „SyNaKI“ eine neue Generation von Miniatursendern für die Geierforschung entwickelt: Diese Sender werden Sensoren (für GPS-Ortungs- und Beschleunigungsdaten) und eine Kamera kombinieren und mit integrierten Künstliche Intelligenz-Algorithmen ausgestattet sein, die Daten und Bilder über die Bewegung und das Verhalten von Individuen dekodieren und automatisch klassifizieren. Dies ermöglicht in Echtzeit einen Informationstransfer über ein Satellitennetzwerk, das speziell zu dem Zweck entwickelt wird, die Welt der Geier durch deren Augen zu sehen und zu analysieren. Im Rahmen der Vorhaben werden zudem dezentralisierte, KI-gestützte Datenanalysen auf verschiedenen Tags an Geiern und Löwen entwickelt, um die Bewegungen und Verhaltensweisen innerhalb von Vogelschwärmen und Artengemeinschaften bei Raubtieren und Aasfressern zu entschlüsseln.

„Dieser Hightech-Ansatz ermöglicht neue Einblicke in das Verhalten einzelner Tiere und der Dynamik der Ereignisse in deren Ökosystem“, sagt Dr. Jörg Melzheimer, Leiter des Projekts am Leibniz-IZW. „Wir werden die Geier und ihre Herausforderungen nicht nur besser verstehen, sondern auch schneller Veränderungen in ihrem Lebensraum erkennen können: Ziel unseres Projekts ist es, menschliche, tierische und künstliche Intelligenz zu verknüpfen, um ohne Zeitverzögerung die Geschehnisse in diesem konkreten Ökosystem zu erfassen und zum Beispiel Krankheitsausbrüche oder Vergiftungsherde sofort zu erkennen.“ Das Leibniz-IZW arbeitet in beiden Vorhaben mit dem Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), dem Tierpark und Zoo Berlin und – vor Ort in Namibia – dem Ministerium für Umwelt, Forstwirtschaft und Tourismus von Namibia, dem Etosha Ecological Institute (EEI) und dem Ongava Research Centre (ORC) zusammen.

PUBLIKATIONEN

Kane A, Monadjem A, Aschenborn OHK, Bildstein K, Botha A, Bracebridge C, Buechley ER, Buij R, Davies JP, Diekmann M, Downs CT, Farwig N, Galligan T, Kaltenecker G, Kelly C, Kemp R, Kolberg H, MacKenzie ML, Mendelsohn J, Mgumba M, Nathan R, Nicholas A, Ogada D, Pfeiffer MB, Phipps WL, Pretorius MD, Rösner S, Schabo DG, Shatumbu GL, Spiegel O, Thompson LJ, Venter JA, Virani M, Wolter K, Kendall CJ (2022): Understanding continent-wide variation in vulture ranging behavior to assess feasibility of Vulture Safe Zones in Africa: Challenges and possibilities. Biological Conservation 268 (2022) 109516. DOI: 10.1016/j.biocon.2022.109516

KONTAKT
Dr. Jörg Melzheimer
Wildtierbiologe und Projektleiter am Leibniz-IZW
+4930 5168 462
Dr. John Mendelsohn
Direktor des Ongava Research Center
+264 84 000 9769

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